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Agfa Flexilette
Eine ungewöhnliche Kamera aus dem Jahr 1960. Ungewöhnlich deshalb, weil eine zweiäugige Spiegelkamera für das Kleinbildformat sehr selten ist. 1935 gab es die zweiäugige Contaflex von Zeiss-Ikon als Kleinbildkamera, eine zweiäugige Toyoca 35 Kleinbild geistert im Netz herum, und das war 's dann schon. Als ich eine Flexilette zum ersten Mal gesehen habe, war ich verblüfft, dass es eine solche Kamera gibt. Zwei blaue Augen leuchten dem Betrachter entgegen und man muss unverwandt in diese Augen blicken, weil man es nicht fassen kann. Mag sein, dass Leute diese Kamera kaufen, weil sie so besonders aussieht. Ich habe Verständnis dafür, denn warum soll man nicht etwas Ausgefallenes und Nichtalltägliches kaufen? Die Flexilette, von der ich hier rede, habe ich mir ausgeliehen. Ich habe sie mir ausgeliehen, weil ich diese außergewöhnliche Kamera ausprobieren wollte. Also auch Lust auf Ausgefallenes. Der Eigentümer, der seit Jahrzehnten mit dieser Kamera nicht mehr fotografiert hatte, wusste gar nicht, ob er sie noch hat. Er musste erst lange danach suchen. Und sie funktionierte. Als ich damit unterwegs war wurde ich angesprochen, ob ich eine Stereo-Kamera hätte. Die Flexilette hätte dann eine Stereokamera für Leute sein müssen, die die Augen nicht nebeneinander sondern übereinander haben. Ein Werbetext für die Flexilette von 1960: „Das ist der völlig neue Typ einer zweiäugigen Spiegelreflex-Kamera für das Kleinbildformat. Hier wird eine Brücke geschlagen zwischen den Anhängern des zweiäugigen Spiegelreflex-Systems und den Freunden des Kleinbildformats. Der für eine Spiegelreflex-Kamera erstaunlich niedrige Preis von 199 DM ist eine echte Überraschung ein neuer Leistungsbeweis des Agfa Camera-Werks. Die optische Ausstattung: Die Flexilette besitzt das bewährte Agfa Color-Apotar 2,8/45 mm zweimal als Aufnahme- und als Sucherobjektiv.“ Ein Jahr später, 1961, gab es das weiter entwickelte Modell: die Optima Reflex mit Dachkantenprisma, Vollautomatik und mit den zwei Apotaren. Die Funktionstüchtigkeit dieser Kamera ist davon abhängig, dass die Selenzellen noch am Leben sind. Theoretisch sind Selen-Zellen zwar unsterblich, aber in der Praxis sind sie nach ein paar Jahrzehnten altersschwach oder tot. Wenn ich die Wahl zwischen der Flexilette und der Optima Reflex hätte, nähme ich genau aus diesem Grund die Flexilette. Die Optima Reflex kostete übrigens genau das doppelte, nämlich 398 DM, und das war kein niedriger Preis mehr. Nun bin ich kein gelernter Kameratester, habe keine Instrumente, um irgendetwas zu messen und zu vergleichen. Ich kann nur sagen, wie ich den Umgang mit der Kamera empfinde. Ob 's mir Spaß macht oder nicht. Und schließlich schaue ich mir die Ergebnisse an. Das Hantieren mit der Kamera muss vergnüglich sein und die Ergebnisse des Fotografierens sollen mir Freude machen. Wenn beides gelingt, werde ich der Kamera ein Loblied singen. Bedienungsanleitung für die Flexilette habe ich keine. Ich brauche auch keine, denn mit ein wenig Menschenverstand lässt sich herausfinden, wo gedrückt, gedreht und gezogen werden muss. Verborgene Bedienungsrätsel müssen bei der Flexilette nicht gelöst werden. Als mühselig habe ich das Scharfstellen erlebt. Das wäre ein Grund, mir keine Flexilette zu kaufen. An meinen weitsichtigen Augen kann es nicht liegen. Die Kamera ist vermutlich mit einer Luftbildmattscheibe ausgerüstet. Die große Bildhelligkeit lässt das vermuten. Aber an Luftbilder passt sich das Auge an, und ob wirklich scharfgestellt ist, wird zur Glückssache. Auch der Schnittbildmesskreis in der Mitte ist nicht zuverlässig. Wenn man das Auge ein klein wenig zur Seite bewegt, verändert sich das Schnittbild. Wenn man das Auge nach rechts bewegt, dunkelt die untere Bildhälfte ab, bei einer Augenbewegung nach links wird die obere Bildhäfte dunkel. Und auch die Deckung der Linien verändert sich. Und das ist natürlich schlimm, denn ob scharfgestellt wurde, bleibt ungewiss. Das ist alles andere als befriedigend und treibt einen zur Verzweiflung. Bei keiner Kamera habe ich bisher einen derart grauenvollen Sucher erlebt. Um diesem Sucher zu entkommen, habe ich mir schon überlegt, einen Entfernungsmesser mitzunehmen und die gemessene Entfernung auf den Entfernungsring der Kamera zu übertragen. Bei aufgeklappter Lupe kann man den Rahmensucher verwenden. Man schaut durch die kleine Linse hinten am Sucher und muss sich nicht mehr mit zweifelhaften Luftbildern herumplagen oder mit kopfstehenden, schwankenden Hochformatbildern kämpfen. Das Fotografieren wird so zwar einfacher; aber wenn man nicht genau durch die Mitte der kleinen Sucherlinse schaut, fotografiert man etwas anderes als das, was man sieht. Ich habe bisher noch keine Kamera gehabt mit der ich so langsam war. Und dazu immer das mulmige Gefühl, die Entfernung falsch eingestellt zu haben. Nun aber zum erfreulichen Teil. Die Kamera liefert, wenn man die technische Seite betrachtet, erstaunlich gute Ergebnisse. Das dreilinsige Apotar, von dem ich keine Wunder erwartet habe, kann Bilder von ÜBERRAGENDER SCHÄRFE und großem Kontrast zustandebringen. Man hat das Gefühl, mit einer 2000-Euro-Optik gearbeitet zu haben. Das ist nicht übertrieben! Wie es mit Bildfeldwölbung und anderen Fehlern aussieht, kann ich mit freiem Auge und ohne irgerndwelche Testtafeln zu fotografieren nicht erkennen; ich rede nur von der Schärfeleistung des Objektivs, wie sie sich dem Auge (plus Lupe) dartut. Und die Schärfe wird sicher vom Gewicht dieser Metallkamera unterstützt: sie wiegt 800 Gramm. Wenn man auf den Auslöser drückt, bewegt sich die Kamera nicht mit, alles bleibt wunderbar ruhig und man könnte meinen, die 15tel Sekunde noch aus der Hand machen zu können. Dazu kommt das Fehlen eines Klappspiegels, der die Kamera in Schwingungen bringen könnte. Angeblich kommen 90 % aller Unschärfen durch falsch bewegte Kameras, bzw. durch zu lange Verschlusszeiten zustande. Mit der Flexilette lässt es sich ruhig und leise fotografieren. So viel steht fest, und das ist die große Stärke dieser Kamera. Also halb Mißvergnügen, halb Vergnügen. Das große Loblied bleibt aus, weil mich der Sucher verrückt macht. Immerhin habe ich nach dem Entwickeln des ersten Films gleich einen zweiten Film in die Flexilette geladen, weil ich vom Ergebnis des ersten Films so angetan war. |
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Flexilette. Mit Apotar 2,8/45 Doppelobjektiv und Prontor-Verschluss mit den Zeiten B, 1, 2, 4, 8, 15, 30, 60, 125, 250, 500 | |||||||||||||||||||||||
Flexilette. Aufgeklappter Sucher mit aufgeklappter Lupe. Belichtungsmesser gibt es keinen, was sehr erfreulich ist, denn gäbe es ihn, wäre er heute mit großer Wahrscheinlichkeit kaputt. | |||||||||||||||||||||||
Blick durch den Sucher mit Schnittbild-Messkreis. Man könnte meinen, das Scharfstellen sei eine einfache und eindeutige Angelegenheit. Aber es ist nicht so. Siehe Text. | |||||||||||||||||||||||
Aufsteckbares Gelbfilter. Wieso auch das Sucherobjektiv ein Gelbfilter hat, ist nicht ohne weiteres einsichtig. Alles gelb zu sehen, führt zu einer Art Gelbsucht. Vielleicht sollte der Fotograf durch dieses gelbe Bild daran erinnert werden, dass er mit Filter fotografiert und länger belichten muss.
Ein Filter für die Flexilette ist vermutlich ein schwer zu bekommendes Teil. |
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Flexilette, Photo Porst, Nürnberger Phototrichter Heft 4/1960 | |||||||||||||||||||||||