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"ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN" – STELLUNGNAHMEN
Beitrag von Eberhard Rosenke (München)

Lieber Günter!

Zunächst: Ich kann keinen wesentlichen Unterschied zwischen einem Mahnmal und einer Erinnerungsstätte erkennen. Jede Erinnerung ist auch eine (Er)Mahnung und umgekehrt. Es gibt in Deutschland so viele Museen, daß man geneigt ist, Deutschland selbst als Museum anzusehen. Von ägyptischer Kunst bis zum Nachttopf, von der Fettecke bis zur Folterkunst – alles wird aufs sorgfältigste dokumentiert und vorgezeigt. Auch die KZs sind zu Museen ausgestaltet worden und bedienen einen Tourismus eigener Art. Also warum sollte ausgerechnet das Phänomen der Vertreibung ausgespart bleiben, das man zu den hervorstechenden Kennzeichen des 20. Jahrhunderts zählen kann? Natürlich muß guter Wille vorausgesetzt werden, aber ich sehe keinen Grund, den zu bezweifeln (im Gegenteil!).

Wenn ich nicht irre, begannen die Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts mit den Griechen aus Kleinasien, die durch Türken aus Griechenland oder vom Balkan „ersetzt“ wurden, und endeten nicht mit den Deutschen von jenseits der Oder, die durch Ostpolen „ersetzt“ wurden. – Vertreibungen (z. B. Hugenotten, spanische Juden) gab es zwar schon immer, aber ihre ganze Unerbittlichkeit bekamen sie wohl erst in der Verbindung von Nationalismus und Rassismus. Eine religiöse Vertreibung konnte man möglicherweise abwenden durch Übertritt zur Mehrheitsreligion. Juden konnten Christen werden und waren dann keine Juden mehr. Eine rassisch bedingte, heute „ethnisch“ genannte, Vertreibung können Betroffene nicht abwenden, da niemand seine Gene auswechseln kann. Und da die Rassenkunde den Ruf einer seriösen Naturwissenschaft genoß (hervorgegangen aus der Hundezucht), hatten die Nazis „gute“, da „wissenschaftliche“ Argumente für die Vertreibung oder Vernichtung unerwünschter Menschentiere.

Übrigens hatten auch die Nazis an der Vertreibung der Deutschen – und zwar nicht nur der jüdischen Deutschen – ihren Anteil. Hitler stimmte einer „Umsiedlung“ der Südtiroler zu, und er ließ die „Volksdeutschen“ aus Rumänien und angrenzenden Gebieten nach Deutschland deportierten, um sie dort in Lagern auf ihre rassische Eignung für die Germanisierung Osteuropas zu prüfen. Sie wurden von SS-Wissenschaftlern wie Vieh vermessen, und wer zu wenig arische Merkmale aufwies, der wurde ausgesiebt. Übrigens gehört auch die Familie des jetzigen Bundespräsidenten zu diesen von den Nazis Vertriebenen.

Beim Lesen der Briefe ist mir aufgefallen, daß Ernst Köhler sehr emotional reagiert, so daß ich ihn als einen Vertreter des in Deutschland gepflegten „umgekehrten“ Nationalismus einschätze. So wie viele wilhelminische Deutsche vom besonderen Wert des deutschen Volkes, waren viele BRD-Deutsche von seiner besonderen Wertlosigkeit überzeugt (so wie Hitler in seinen letzten Tagen). Die enttäuschte Affenliebe zu sich selbst schlug in Selbsthaß um. Aber das ist immer noch Chauvinismus, bloß ein negativer: Solange die Deutschen nicht so sind, daß „am deutschen Wesen die Welt genesen“ kann, finden sie keine Gnade vor den hohen moralischen Ansprüchen des Negativ-Chauvinisten. Dieser umgedrehte Nationalismus hat ebenso wie der gewöhnliche Nationalismus eine rassistische Färbung, denn wenn das deutsche Volk minderwertig ist, dann taugt weder seine Gen-Ausstattung noch die von ihm hervorgebrachte Kultur etwas. Daher ist es besser, Denglisch zu sprechen und möglichst viele Einwanderer ins Land zu holen, die das Erbgut auffrischen und die minderwertige „Leitkultur“ durch „Multi-Kulti“ ersetzen.

Ernst Köhler meint, schon die Diskussion über die Errichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ habe genug Schaden angerichtet. Worin besteht der Schaden? Im Zutagetreten des polnischen bzw. tschechischen Nationalismus, der sich in seiner Selbstliebe gekränkt fühlt? In ähnlicher Weise erregte kürzlich das Buch eines deutschen Journalisten über den alliierten Bombenkrieg unliebsames Aufsehen in England. Wenn Köhler den ausländischen Nationalismus so milde beurteilt und es mißbilligt, an ihm zu kratzen, dann sehe ich darin eine Bestätigung meiner These vom negativen Nationalismus, denn für Nationalisten hat der Nationalismus (auch derjenige der anderen) einen hohen Wert.

Der Negativ-Nationalist hat allerdings das Problem, daß er seinen Groll auf die eigene Nation nur rechtfertigen kann, wenn der Unterschied zwischen „den Deutschen“ und „den anderen“ möglichst groß bleibt. Dazu dient die Einteilung in Täter(volk) und Opfer(volk), die meiner Meinung nach eine Tat von Opfern ist, die ein (Täter)Volk zum Opfer einer Polemik macht. In diesem Schema ist die Vermutung, daß „die anderen“ auch nicht besser seien, ein „Tabu-Bruch“. Es ist verboten zu sagen, daß ein KZ-Insasse zwar ein bedauernswertes Opfer, aber womöglich auch ein fieses Schwein gewesen sein konnte. Dennoch gibt es genug Beispiele dafür. So saß Erich Honecker während der Nazi-Zeit als politischer Häftling jahrelang im Zuchthaus Brandenburg, mußte sogar mit seiner Hinrichtung rechnen. Das hinderte ihn nicht daran, später selbst Menschen aus politischen Gründen einsperren und hinrichten zu lassen. Wer nach der Losung „Auge um Auge“ handelt, der kann nicht besser als „die anderen“ sein.

Deshalb glaube ich, daß die Einteilung Täter-Opfer den eigentlichen Sachverhalt verschleiert. Es geht nämlich in erster Linie nicht um individuelle Moral, sondern um die Moral des Staates, d. h. um die Güte seiner Institutionen. Es gibt in jedem Volk einen bestimmten Prozentsatz an Schweinehunden. Die Schuld „der Deutschen“ ist es, Schweinehunden die politische Macht überlassen zu haben - aus politischer Dummheit, Illusionen, Animositäten, Verzweiflung. Daß die politische Dummheit heute weniger groß ist, bezweifle ich. Aber die Zeiten sind (noch) besser als damals, die Saat rhetorischer Großschnauzen will noch nicht aufgehen, und die Leute haben sich inzwischen an die Institutionen gewöhnt.

Herzlichen Gruß, Eberhard

Lieber Eberhard!

Du hast die Figur des umgedrehten deutschen Nationalisten entdeckt, der – enttäuscht, weil die Deutschen nicht die Überlegenen waren – nationalen Selbsthass übt. Es ist eine Figur mit einer beachtlichen theatralischen Wirkung. Hat sie irgendwer irgendwann auf die Bühne gebracht?

Ich würde diese Figur in einem Stück auftreten lassen, das im Jahr 1955 spielt. In einem Stück, das heute spielt, wüsste ich nicht recht, ob diese Figur überhaupt jemand versteht. – Ich wüsste auch nicht, wer im wirklichen Leben diese Figur heute noch verkörpert. Wäre es Günter Grass oder Joschka Fischer? Letzterer ist wohl zu jung. Bei Ernst Köhler, um den es hier geht, sehe ich keinen nationalen Selbsthass; er gehört eher zu den Vorsichtigen, die kein Porzellan zerschlagen möchten.

Mit dem umgedrehten deutschen Nationalisten hast Du was getroffen. Aber dass er heutzutage am liebsten Denglisch spricht, kommt mir Spanisch vor. Wer spricht denn Denglisch? Es sind die Mediamärkte, Krämer und Verkäufer. Vor 100 Jahren meinte man noch, mit Freutschösisch die besseren Ergebnisse zu erzielen, heute ist es eben Denglisch.

Und wer hat die Ausländer ins Land geholt? Sicher waren es keine umgedreht-nationalistischen Linksintellektuellen, die sich davon eine Auffrischung der minderwertigen deutschen Gene erhofften. Es waren die Wirtschaftstreibenden (also CDU- und FDP-Wähler), die damit ihre Geschäfte verbessern wollten. Die Probleme, die inzwischen entstanden sind, lassen sich mit Sprechblasen wie "Leitkultur" nicht lösen. Allerdings bin ich dafür, den Ausländern unmissverständlich klarzumachen, dass sie Deutsch lernen müssen (oder Denglisch?).

Was die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen betrifft, frage ich mich, ob wir nicht eine Diskussion von vorgestern führen. Die Proteste aus dem Ausland dürften sehr mäßig sein oder überhaupt ausbleiben.

Herzlichen Gruß
Günter

Brief von Martin Rüttenauer (Konstanz)

Lieber Günter,

Für mich ist Deine Stellungnahme überzeugend.

Die Seite von Frau Steinbach und das, was ich davon gelesen habe, machen einen seriösen Eindruck auf mich.

Ein verwandtes Thema: Meine Beschäftigung mit afrocubanischer Kultur hat auch das Thema Sklavenhandel berührt. Ich habe vor ein paar Monaten einen Vortrag des kubanischen Schriftstellers Miguel Mejides gehört, der meinte (und es klang überzeugend), daß der Sklavenhandel in seinen Dimensionen durchaus mit dem Holocaust verglichen werden könne. Ich frage mich, ob es zu diesem Thema eigentlich ein gut gemachtes Museum gibt?

Besten Gruß
Martin

Lieber Martin!

Von einem großen "Zentrum gegen Sklaverei", bzw. einem derartigen Museum, ist mir auch nichts bekannt.

Am 11. Nov. 2005 habe ich in „Arte“ einen Film gesehen, der sich mit dem Kongo beschäftigte. Im Programmheft ist folgendes zu lesen: „Leopold II., König der Belgier, hatte 1885 den sogenannten Freistaat Kongo in Besitz genommen. Zehn Millionen Afrikaner sollen unter seiner Menschen verachtenden Herrschaft gestorben sein. Bevor Leopold II. den Kongo auf Druck von Missionaren und der internationalen Presse 1908 an Belgien übertrug, hatten ihn Elfenbein und Kautschuk unbeschreiblich reich gemacht. König Leopold II. starb ein Jahr nach der Übergabe ‘seiner' Kolonie ungestraft in Brüssel.“ – Im Film wurden unglaubliche Dokumente von grausamsten Massenmorden gezeigt. – Ein Vergleich mit dem Holocaust drängt sich auf. In Belgien stehen heute noch Denkmäler dieses Monsters. Brüssel schmückt sich mit imperialen Prachtbauten, die dieser Mensch mit „privaten“ Mitteln errichtet hat. – Brüssel wäre vermutlich der richtige Ort, um ein Museum zu errichten, in dem gezeigt wird, was Europäer in Afrika angerichtet haben.

Herzlichen Gruß, Günter

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