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Buchbesprechung

Martin Walde: Wie man seine Sprache hassen lernt. Sozialpsychologische Überlegungen zum deutsch-sorbischen Konfliktverhältnis, Bautzen 2010 (Domowina-Verlag) 184 S., Abbildungen, Broschur, ISBN 978-3-7420-2178-6 19,90 €

Es ist wie beim Hunger. Wenn er erst einmal hungert, wehrt der Mensch sich nicht mehr. Zur Hungerrevolte kommt es nur, wenn es schon wieder ein bisschen bergauf geht. Jeder Protest braucht die Aussicht auf Erfolg, auf eine Machtverschiebung. Sonst bleibt er aus. Die Unterdrückung muss nur umfassend und nachhaltig genug sein, dann wird Widerstand zur absoluten Ausnahmeerscheinung. Für dieses tragische Paradox gibt es in der deutschen Geschichte reichlich Belege. Einen exemplarischen, aber bisher so gut wie unbekannten hat uns jetzt Martin Walde mit seiner Studie über die Geschichte der Sorben in Deutschland geliefert. „Wie man seine Sprache hassen lernt“ – der Titel nimmt bereits die Kernaussage des Buches vorweg. Die staatliche Entrechtung und gesellschaftliche Ausgrenzung dieser slawischen Minderheit in der Lausitz war über die verschiedenen Phasen der modernen deutschen Geschichte hinweg so allgegenwärtig, tiefgreifend und bruchlos permanent, dass die Betroffenen sich nicht mehr zu wehren und zu behaupten wussten. Stattdessen haben sie sich unterworfen, wie das Gesetz des Menschen es will. Sie haben sich in diversen Formen mit ihrer übermächtigen und feindlichen Umwelt identifiziert. Sie haben sich selbst nicht mehr ertragen. Sie haben ihre Muttersprache als einen Makel, als ein Stigma erlebt.

Das kleine Volk ist also nicht von selbst fast verschwunden und verlöscht. Aber wie lässt sich eine solche Geschichte der von oben und außen erzwungenen Selbstannullierung überhaupt schreiben, d.h. empirisch erschließen? Seinen verzweifelten, scheiternden Kampf um soziale Anerkennung pflegt jedermann für sich zu behalten. Gerade das Schmerzlichste bleibt intim. Welche Zeugnisse und Dokumente gäbe es für dieses von den Leidtragenden selbst verschwiegene und erst recht von der deutschen Mehrheitsgesellschaft über alle Zäsuren der politischen Geschichte hinweg beharrlich totgeschwiegene Langzeit-Drama? Martin Walde findet gleich zwei höchst aufschlussreiche historische Quellen und bringt sie gegen das große, doppelte Schweigen und Vergessen in Anschlag. Da sind einmal die ethnografischen und alltagsnahen statistischen Forschungen des Sorabisten Arnost Muka, der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts von Dorf zu Dorf durch die Siedlungsgebiete der Sorben zieht. Es ist das konkrete Bild eines beschleunigten Umbruchs, das der aufmerksame Wanderer aus seinen Gesprächen vor Ort zeichnet. Die Sorben sind noch da – noch geschlossener präsent, als die politisch beflissene Publizistik der Zeit es suggerieren möchte. Aber die Germanisierung hat im Zuge der Nationalstaatsgründung von 1871 an Kraft gewonnen. Symptomatisch für diesen Druck ist die Figur des Nemcowar, des „Deutschsprechers“ – des sorbischen Lehrers oder Pfarrers, der den ihm Anvertrauten das Sorbische mit aller Gewalt austreiben möchte. Die zweite Quelle ist der „Katolski Posol“ (Der Katholische Bote), die Zeitschrift der katholischen Sorben in der Oberlausitz, die der Autor für die Zeit nach 1918 auswertet. Für die Sorben bringt die Weimarer Republik keine Befreiung. Wenn sich auch das katholisch- sorbische Milieu vergleichsweise länger bewahren kann als das evangelisch-sorbische, so sieht es sich doch ungeachtet seiner Frömmigkeit und Treue von der kirchlichen Hierarchie systematisch missachtet, entrechtet und untergraben.

Und heute? Der Schlussabschnitt „Nach dem Einigungsvertrag“ ist eine Pflichtlektüre für deutsche Politiker und Bischöfe. Der nach der Wende von 1989 durchgesetzte Rechtstaat ist formal geblieben. Die bürger- und menschenrechtlich inspirierten Sorben-Artikel der Landesverfassungen Brandenburgs und Sachsens haben die kollektiven Rechte dieser Minderheit nicht erreicht und nicht garantiert – kein einziges von ihnen. Die Entmutigung ist entsprechend grenzenlos. In den Worten von Jan Nuk, dem Vorsitzenden der Domowina, des Dachverbandes der Sorben: „Uns wird permanent der Eindruck vermittelt: ‚Wenn ihr euch entwickeln wollt, müsst ihr euch so entwickeln, wie wir es wollen.’ Diese Art der ‚Förderung’ muss nach unseren Erfahrungen versagen, weil sie die freie Entwicklung unmöglich macht und selbst denen jede Lust zum Handeln nimmt, die sich noch auf politischer Ebene engagieren.“

Ernst Köhler


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