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Ernst Köhler
Bei Ling: Der Freiheit geopfert. Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo hat uns mit ungetrübter Freude und Genugtuung erfüllt wie die an Aung San Suu Kyi 1991 oder an Nelson Mandela 1993. Aber das heißt nicht, dass uns dieser ferne Mann im abstrakten Menschenmeer Chinas als Mensch, als konkrete Person auch näher gekommen und fasslich geworden wäre. Wir haben unseren tiefen Respekt, und wir haben unsere tiefe Unkenntnis, unsere westliche Provinzialität zusammengenommen ergibt das eine Ikone, eine Lichtgestalt etwas oberhalb der Erde. Jetzt hat der chinesische Untergrundschriftsteller Bei Ling eine Biografie über Liu Xiaobo geschrieben, die auch auf deutsch erschienen ist. Der Autor war mit seinem „Helden“ einmal eng befreundet. In New York waren die beiden unmittelbar vor Beginn der chinesischen Demokratiebewegung von 1989 eine Zeit lang unzertrennlich. Für einen Augenblick denken sie daran, in Amerika gemeinsam um politisches Asyl nachzusuchen. Aber dann trennen sich ihre Wege wieder. Xiaobo kehrt allein zurück nach China und wird der politische Mensch, der zivile Kämpfer, als den die Welt ihn kennt und ausgezeichnet hat. Das ist die Verbindung von Vertrautheit und Abstand, die diesen Text zu einer unsentimentalen, eindringenden, genauen Lebensbeschreibung werden lässt. Das Buch ist offenbar hastig geschrieben unter dem Zugzwang des Preises, aber dafür auch schnörkellos und packend direkt. Von ganz wenigen leeren, pathetischen Stellen abgesehen, hält sich die Darstellung durchweg dicht an die Texte und Selbstzeugnisse Liu Xiaobos. Auch Andere kommen reichlich zu Wort - mit ihren Reaktionen auf diesen exzentrischen, schroffen, provozierenden, dann auch verzweifelten Mann. Darunter nicht zuletzt seine zweite Frau Liu Xia, die ihn wegen der übergroßen Risiken, die er eingeht, „meinen Dummkopf“ nennt. So entfaltet sich vor dem Leser das Bild eines bedrängten Milieus, eines Netzwerkes im Widerstand, einer vom Staat überfahrenen Liebe. Der mit seinen häretischen Thesen über die Wertlosigkeit der gesamten chinesischen Gegenwartsliteratur (des Jahrzehnts nach der „Kulturrevolution“) und mit seinen noch viel radikaleren Attacken gegen die autoritäre konfuzianische Tradition seines Landes schnell berühmt gewordene junge Literaturwissenschaftler und Kulturkritiker (Jg. 1956) hatte bald seinen Spitznamen in einschlägigen Kreisen weg: „Schwarzes Pferd“ eine unbekannte, aus dem Nichts (vermutlich aber von Westen) herangaloppierende Kreatur und Kraft, die da auf einmal die Gemeinde unsicher macht. Schon das vermittelt einen Eindruck von der überraschenden Neugier, Diskussionsbereitschaft und Toleranz der Intelligenz zumindest in Peking. Damals ist Liu Xiaobo noch kein Verfolgter. Er ist vielmehr ein Star, und er genießt es in vollen Zügen, um nicht zu sagen: zügellos. Der Bruch kommt mit dem Massenprotest der Studenten im Mai und Juni 1989, dem sich Liu Xiaobo zusammen mit drei Freunden nach anfänglichem Zögern anschließt. Die „Vier Ehrenmänner“ sind auch in der Nacht zum 4.Juni auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Und als die Armee dann heranrückt, tun sie alles, um die Studenten zum Abzug zu bewegen. Nach dramatischem Ringen um Vernunft und lebensrettende Gewaltlosigkeit: schließlich mit Erfolg. Zu einem Massaker an den Studenten auf dem Platz selbst kommt es nicht entgegen der sich bis heute haltenden Weltlegende von diesen Ereignissen. Das Massaker fand an den umliegenden Straßenkreuzungen statt und traf vor allem einfache Pekinger Bürger, die sich mit den Studenten solidarisiert hatten. Während des anschließenden, zunächst knapp zweijährigen Gefängnisaufenthaltes entscheidet sich Liu Xiaobo schließlich zu einem Geständnis, d.h. zu einer „Selbstkritik“ im Sinne des kommunistischen Totalitarismus, was er sich später dann nie mehr verzeihen wird. Diese Abschnitte über die Selbstentwürdigung, über den Kotau eines integren und tapferen Menschen vor der Macht und über seine schmerzliche Selbsterforschung und politische Reifung nach diesem Zusammenbruch bis hin zur Autorenschaft an der „Charta 08“ muss man lesen. Sie zeigen, dass dieses Manifest für demokratische und rechtstaatliche Institutionen in China nicht von außen kommt. Es kennt Vorbilder etwa die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei. Aber es kommt von innen, aus der Leidens- und Lerngeschichte der chinesischen Demokraten selbst.
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